Humanes Immundefizienzvirus
(HI-Virus, HIV)

Virusfamilie: Retroviridae
Unterfamilie: Lentiviren
D: Erreger des erworbenen Immunschwächesyndroms (AIDS)
E: AIDS (acquired immunodeficiency syndrome)
F: SIDA (
Syndrome d'Immuno-Déficience Acquise)

1. Parasit, Übertragung und Vorkommen
2. Diagnostik
3. Wirt-Parasitinteraktion
4. Infektion und Krankheit
5. Epidemiologie
6. Kontrollstrategien
7. Kernsätze
8. Ressourcen

1.      Parasit, Übertragung und Vorkommen
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1.1. Parasit
Beim HI-Virus, das erstmals 1983 von AIDS-Patienten isoliert wurde, handelt es sich um ein RNA-Virus. Es gehört zu einer ungewöhnlichen Familie der Retroviren, den Lentiviren (lentus=langsam, weil die Erkrankung erst spät auftritt).

Man unterscheidet 2 HIV-Typen: HIV-1 (mit 9 Subtypen) und HIV-2. Die HIV-1 Epidemie begann Anfang der achtziger Jahre in Grossstädten der USA und Zentralafrikas. Man nimmt an, dass sie ihren Ursprung in Afrika hatte, durch die Übertragung von Affenviren [SIVs, simian immunodeficiency viruses) auf den Menschen.

Die infektiösen Partikel (mit einem Durchmesser von ca. 100 nm) bestehen aus einem Kapsid und einer Hüllmembran, die sich von der Wirtszellmembran ableitet. Im Kapsid liegen das Genom des HI-Virus, zwei identische einsträngige RNS-Moleküle mit je 9000 Basen, verschiedene Enzyme (Integrase, Protease, reverse Transkriptase) und weitere regulatorische Proteine. In die Hüllmembran integriert ist ein Glykoprotein gp41, das mit einem zweiten (gp120) assoziiert ist.
Nach der reversen Transkription wird die virale Erbinformation als doppelsträngige DNS in das Genom der Wirtszelle integriert.

Wird die Wirtszelle aktiviert, so beginnt die Replikation des HI-Virus. Die Provirus-DNS dient als Vorlage für die Synthese von viraler RNS, welche ins Zytoplasma transportiert wird. Darauf werden die Hüll (env)- und gag-pol Vorläuferproteine hergestellt. Komplexe Prozesse führen zu der Bildung von Viruspartikeln an der Wirtszellmembran. Durch Knospung („budding“) werden infektiöse Viruspartikel aus der Zelle freigesetzt. HIV ist kein „lytisches Virus“, jedoch können aktive Prozesse zum Zelltod führen.

EM-Aufnahme eines reifen Virions; Th. Klimkait

Gene

Genprodukte/-funktionen

gag

Gruppen-spezifisches Antigen

Kern- und Matrixproteine

pol

Polymerase

Reverse Transkriptase, Protease und Integrase-Enzyme

env

"Envelope" (Hülle)

Transmembranäre Glykoproteine: gp120 und gp41

tat

Transaktivator

Positiver Regulator für die Transkription

rev

Regulator der viralen Expression

Erlaubt Export ungespleisster und teilw. ungespleisster Transkripte aus dem Nukleus

viv

Virale Infektiosität

Beeinflusst die Partikel-Infektiosität

vpr

Virales Protein R

Transport von DNS zum NUkleus; Steigerung der Virionenproduktion; Anhalten des Zellzyklus

vpu

Virales Protein U

Bewirkt intrazelluläre Erniedrigung von CD4 und verstärkt Virusfreisetzung über die Zellmembran

nef

Negativ-Regulations Faktor

Erhöht Virusreplikation in vivo und in vitro. Downregulation von CD4 und MHC Klasse II

Nach der reversen Transkription wird die virale Erbinformation als doppelsträngige DNS in das Genom der Wirtszelle integriert.

Wird die Wirtszelle aktiviert, so beginnt die Replikation des HI-Virus. Die Provirus-DNS dient als Vorlage für die Synthese von viraler RNS, welche ins Zytoplasma transportiert wird. Darauf werden die Hüll (env)- und gag-pol Vorläuferproteine hergestellt.

Komplexe Prozesse führen zu der Bildung von Viruspartikeln an der Wirtszellmembran. Durch Knospung („budding“) werden infektiöse Viruspartikel aus der Zelle freigesetzt. HIV ist kein „lytisches Virus“, jedoch können aktive Prozesse zum Zelltod führen.

Das Foto links zeigt die Freisetzung von Viruspartikeln aus einer infizierten CD4-positiven T-Zelle.
TALC, St. Albans

1.2. Übertragung
HI-Viren werden durch kontaminiertes Blut (Transfusionen, Injektionsnadeln, gemeinsamer Spritzengebrauch bei Drogenabhängigen), durch nicht virusinaktivierte Blutprodukte sowie durch Samen- und Vaginalflüssigkeit bei sexuellen Kontakten übertragen. Das Virus kann von einer infizierten Mutter vor oder bei der Geburt oder auch beim Stillen übertragen werden (Vertikale Übertragung).

1.3. Vorkommen
Die HIV-Epidemie hat sich weltweit ausgebreitet („Pandemie“). Ende 2001 schätzte die WHO, dass rund 40 Millionen Menschen mit HIV infiziert worden sind, davon rund 70% in Afrika. Allein im Jahre 2001 kamen 5 Millionen Neuinfizierte dazu! In der Schweiz sind bis Ende 2000 ca. 25'000 HIV-Fälle und 7032 AIDS-Fälle registriert worden, ihre Inzidenz hatte 1991/92 ein Maximum erreicht.

2.      Diagnostik
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Zwei bis 3 Wochen nach der Infektion lässt sich das Kapsidprotein (p24) mittels Antigen-Nachweismethoden (Immunenzymmethoden, ELISA) im Serum nachweisen.
Etwa einen Monat nach Infektion lassen sich spezifische Antikörper (gegen Kapsidprotein p24 und Hüllprotein gp41) nachweisen. Ein positives Resultat eines Suchtests(meist ELISA) wird durch einen Bestätigungstest (Westernblot) erhärtet.
Für die Abklärung einer Neuinfektion sollten Antigen- und Antikörpertest durchgeführt werden.
Für die Beurteilung von Prognose, Therapieindikation und –verlauf sind Antikörpersuchtests nutzlos. Die Polymerase-Kettenreaktion (PCR) erlaubt die Virusmenge („viral load“) quantitativ zu bestimmen. Dies ist für die Überwachung der Chemotherapie wichtig. Überdies ist die quantitative Bestimmung der CD4-positiven T-Lymphozyten ein wichtiger Marker für die Beurteilung des Infektionsverlaufs.

Western Blot; Th. Klimkait

3.      Wirt-Parasitinteraktionen
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Spezifische Aspekte im Überblick:

3.1 Invasion von Wirtszellen
3.2 Die Wirtszelle im Dienste der Virusreproduktion
3.3 Abwehrmechanismen des Wirtes
3.4 Virale Evasionsstrategien vor der Wirtsabwehr

Animation Retrovirus

3.1  Invasion von Wirtszellen
Das Virus gelangt direkt in das Blut (durch Injektion) oder über Verletzungen der Schleimhaut in Gewebekontakt. Es wird vermutet, dass das Virus zuerst an Dendritische Zellen bindet (über sog. DC-SIGN Rezeptoren). Diese transportieren das Virus (ohne selber produktiv infiziert zu werden) in T-Zell Regionen des drainierenden Lymphknotens und präsentieren das virale Antigen den T-Zellen.
Die Infektion von Wirtszellen geschieht nach der spezifischen Interaktion des Virus-Hüllproteins (gp 120) mit dem CD4-Molekül auf der Wirtszellmembran. Zusätzlich sind Korezeptoren (die Chemokin-Rezeptoren u.a. CCR5 auf Makrophagen rsp. CXCR4 auf T-Zellen) an der Adhärenz des Virus an die Wirtszellen beteiligt. Infizierte mit einem Defekt im CCR5-Gen (1 Allel mit einer Deletion) haben im Vergleich zu Infizierten mit 2 Standardallelen einen verzögerten Übergang zum vollen AIDS-Krankheitsbild. Beinahe Resisistenz ergibt sich bei Deletion beider Allele! Beim Eindringen in die Wirtszelle ist auch das virale Transmembranprotein gp41 wichtig.

3.2   Die Wirtszelle im Dienste der Virusreproduktion
Die virale RNS wird in eine einzelsträngige DNS revers transkribiert und dann als Doppelstrang in das Genom der Wirtszelle integriert. Erst wenn Wirtszellen mit einem solchen Provirus aktiviert werden (z.B. durch eine Immunreaktion) endet die latente Infektion und es kommt zur Replikation der Retroviren und zu ihrer „Ausschwemmung“ (budding). Der Tod der Wirtszelle ist häufig die Folge. Neben der zytolytischen Wirkung scheinen noch andere Prozesse bei der Abnahme der CD4-postiven Zellen eine Rolle zu spielen.

3.3  Abwehrmechanismen des Wirtes
Es scheint, dass für die Immunkontrolle virusinfizierter Zellen zytotoxische (CD8-positive) T-Zellen und T-Helfer-Zellen nötig sind.
Im Fall (Abb. a) kommt es nach der Latenzphase mit effektiver Viruskontrolle zum Ausbruch von AIDS bei absinkender Zahl von CD4-positiven Zellen (Th). Darauf steigt die Viruslast (VL) an mit gleichzeitigem Verlust an zytotoxischer T-Zellen (CTL).
Im Ausnahmefall (Abb. b) – bei wenigen Patienten – kommt es trotz sehr langer HIV-Infektion nicht zum Ausbruch von AIDS. Die Zahl der T-Helfer und der zytotoxischen Zellen bleibt hoch, die Viruslast niedrig. Eine solche Situation wird durch eine Kombinations-Chemotherapie angestrebt.

Wieweit die humorale Immunität (spezifische neutralisierende Antikörper) und Antikörper-abhängige zellvermittelte Zytotoxizitätsreaktionen (ADCC) für die Protektion ebenfalls eine Rolle spielen, ist zur Zeit noch offen.

3.4 Virale Evasionsstrategien vor der Wirtsabwehr
HI-Viren haben eine hohe Mutationsrate. Diese rührt von einer hohen Fehlerrate und einem fehlenden „Proofreading“ bei der Transkription. Die reverse Transkriptase macht mindestens einen Fehler pro „Durchgang“ (d.h. 1 falsches Nukleotid wird synthetisiert)! Viren mit veränderten Eigenschaften (z.B. Oberflächenepitopen) können der induzierten Immunantwort entgehen (Strategie der Evasion). Durch diese Mutationen können im Infektionsverlauf hochvirulente Virusvarianten (mit hoher Replikationsrate) entstehen, die einen ausgeprägten Tropismus für T-Lymphozyten aufweisen. Dies im Gegensatz zu M-tropen Viren in der Anfangsphase der Infektion, die überwiegend Makrophagen befallen.

4.      Infektion und Krankheit
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Eine HIV-Infektion führt ohne Behandlung bei über 95% der Infizierten – nach kürzerer oder längerer Zeit - zu AIDS.

Die Frühphase der HIV-Infektion verläuft in vielen Fällen inapparent ab. Es können aber auch grippeähnliche Symptome und Lymphknotenschwellungen auftreten.
An diese Frühphase der Infektion schliesst sich ein relativ symptomfreies Latenzstadium an, das mehrere Jahre andauern kann (in wenigen Fällen über 10 Jahre!). Während dieses Stadiums der Infektion lassen sich spezifische HIV-Antikörper nachweisen. Die enorme Virusvermehrung (bis zu 10 hoch 10 neue infektiöse Viruspartikel pro Tag!) wird vom Immunsystem laufend eliminiert: es werden nur wenige infizierte CD4 positive T-Lymphozyten im peripheren Blut nachgewiesen (etwa 100 bis 1000 Zellen pro 1 Million!).

Nach dieser Latenzphase beginnt die Krankheit mit chronisch vergrösserten Lymphknoten, Gewichtsverlust und beginnenden opportunistischen Infekten (z.B. Candidiasis, ein Pilzinfekt). Man spricht vom AIDS-related complex.

Die HIV-Infektion kann in dieser Phase über Jahre stabil bleiben oder rasch zum vollen AIDS-Krankheitsbild führen. Dann wird ein weiterer Abfall von CD4-positiven Zellen (unter 400 pro Mikroliter) beobachtet. Als kritische Schwelle gelten 200 CD4-positive Zellen pro Mikroliter Blut. Das Netzwerk der follikulären Dendritischen Zellen in den Lymphknoten degeneriert und Viren können nicht mehr zurückgehalten, oder Antigene den T-Zellen präsentiert werden.

Damit werden Immunantworten unmöglich und es kommt zur Immunsuppression. Als Folge wiederholen sich opportunistische Infekte und es können maligne Tumoren auftreten. Das Vollbild der AIDS Erkrankung ist erreicht. Die Viren können das Gehirn befallen, was neurologische Symptome und evt. Demenz zur Folge haben kann.

Opportunistische Infekte:
In der Schweiz werden opportunistische Infekte bei über 80% der AIDS-Fälle bei der klinischen Erstdiagnose nachgewiesen. Am häufigsten sind Candida spp. und Pneumocystis carinii, zwei Pilzinfektionen. Als Begleitinfektionen sind weiter wichtig: bakterielle Pneumonien, die Tuberkulose und das Cytomegalie-Virus. Bei den Protozoosen ist die Toxoplasmose in der Schweiz am häufigsten. Weitere opportunistische Infektionen, die weltweit vorkommen, entnehmen Sie unterstehender Liste.

Infektionen

Parasiten

Toxoplasma spp.

Cryptosporidium spp.

Leishmania spp.

Microsporidium spp.

Intrazelluläre Bakterien

Mycobacterium tuberculosis

Mycobacterium avium intracellulare

Salmonella spp.

Pilze

Pneumocystis carinii

Cryptococcus neoformans

Candida spp.

Histoplasma capsulatum

Coccidioides immitis

Viren

Herpes simplex

Cytomegalovirus

Varicella zoster

HIV-Patient mit Pilzinfektion durch Candida albicans im Mund; TALC, St. Albans.

Opportunisten bei HIV. Links: Pneumonie durch Pneumocystis carinii. Rechts: Infektion mit Streptococcus pneumoniae und Haemophilus influenzae; TALC, St. Albans

5.      Epidemiologie
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Die Epidemiologische Situation Ende 2000 in der Schweiz
(BAG-Bericht, November 2001)

Die Zahl der jährlich neu diagnostizierten AIDS-Fälle – wie auch der HIV-assoziierten Todesfälle – ist seit 1995 rückläufig, was auf die antiretrovirale Kombinationstherapie bei HIV-positiven Personen zurückzuführen ist. Der Anteil durch heterosexueller Kontakte bedingter Fälle ist weiter gestiegen (auf rund 40%). Die Zahl der im Jahr 2000 diagnostizierten AIDS-Fälle pro 100'000 Einwohner betrug 2.9 (im Vergleich F: 2,6; D: 0,4).

Neue Zahlen und Informationen zu HIV in der Schweiz finden Sie im jeweils aktuellen BAG-Bericht:

BAG-Bericht

6.      Kontrollstrategien
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·        Expositionsprophylaxe
Medizinisches Personal schützt sich beim Umgang mit Blut durch Vorsichtsmassnahmen. Kondome schützen bei Geschlechtsverkehr vor einer HIV-Infektion.

·        Chemotherapie („HAART“: highly active antiretroviral therapy)
Für die Therapie werden Kombinationen von meist 2 reverse Transkriptase-Inhibitoren ev. kombiniert mit einem Protease-Inhibitor verwendet. Damit ist die Entwicklung von Resistenzen gegenüber Monotherapien viel weniger häufig. Seit diese Tripeltherapien in westlichen Ländern (teure Medikamente!) eingesetzt werden, ist die Zahl der AIDS-Todesfälle stark gesunken. Diese teure Therapie muss allerdings lebenslang fortgesetzt werden und hat Nebenwirkungen. Für Entwicklungsländer steht die Produktion kostengünstigerer Medikamente und die Patentrechte zur Debatte. Neu wird eine Behandlung mit Intervallen (eine Woche mit, eine Woche ohne Medikamente) erprobt.

·        Aktive Schutzimpfung (in Entwicklung)
Um eine Vakzine zu entwickeln wäre ein tieferes Verständnis protektiver Immunantworten nötig.
Die Probleme bestehen ausserdem in der hohen Variabilität des Erregers und dem Unvermögen durch Totimpfstoffe eine ausreichende zelluläre Immunantwort zu induzieren. Attenuierte Viren werden aus Sicherheitsgründen als Vakzine nicht in Erwägung gezogen. „Subunit Vaccines“ (von gp120) haben bisher weder gute Antikörper- noch zytotoxische Immunantworten ausgelöst. Neue Adjuvantien könnten hier Verbesserungen bringen.

7. Kernsätze
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  1. Das humane Immundefizienzvirus (HIV) ist ein Retrovirus mit einem Genom, das aus 2 einsträngigen (plus-Strang) RNS-Molekülen von je 9000 Basen besteht.
  2. Eine HIV-Infektion führt bei fast allen Menschen ohne Behandlung nach mehreren Jahren zum erworbenen Immunschwächesyndrom (AIDS) und zum Tod durch opportunistische Infekte oder durch Tumoren.
  3. Das Virus dringt in Wirtszellen (Makrophagen, T-Zellen) ein, welche über bestimmte Rezeptoren (CD4) und Korezeptoren (verschiedene Chemokin-rezeptoren) verfügen müssen.
  4. Die im Virion enthaltene reverse Transkriptase transkribiert die virale RNS in komplementäre DNS.
  5. HIV integriert sein DNS-Genom in die Wirtszelle und bleibt unerkannt und latent oder aktiv für die Lebensdauer dieser Zelle präsent.
  6. Dauerhafte Aktivierung der Virusproduktion führt im Krankheitsverlauf zur Erschöpfung des Immunsystems (Immunschwäche).
  7. Die grosse Fehlerhäufigkeit bei der Virusreplikation repräsentiert einen potenten Ausweichsmechanismus („escape“) gegenüber der Immunabwehr sowie zunehmend die Basis für Resistenzentwicklung.

8.      Ressourcen
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Lehrbuch “Medizinische Mikrobiologie” (10. Auflage), Kayser et al., Thieme-Verlag: Retroviren, HIV (Seiten 467 bis 475)

Lernprogramm "HIV" auf Englisch (Topics in International Health, The Wellcome Trust)